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(Eugen Fink und Edmund Husserl, Bild mit freundlicher Genehmigung des Philosophischen Seminars der Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Exzerpt aus: Eugen Fink – Die Fragwürdigkeit des modernen Erziehers, in: Die deutsche Schule, Berlin/Hannover/Darmstadt, Heft 4 1959, S. 149-162.

Rat und Halt, Form und Verfassung gewinnt das menschliche Dasein in jenem fundamentalen Geschehen, das „Erziehung“ heißt. Der Mensch ist a priori ratlos und haltlos, formlos und ungefasst. Das imperfekte Lebewesen allein kann und muss sich in Form und Verfassung bringen. Erziehung wendet die Grundnot unseres Daseins. Erziehen und erzogen werden kann nur ein nothaftes Geschöpf. (…) Der Mensch lebt im verstehenden Selbstumgang: er verhält sich zu seinem eigenen Dasein und zum Sein alles Seienden überhaupt. Solches Selbstverhältnis ist aber keine Folge etwa des „Bewusstseins“, ist keine bewusstseinsmäßige Reflexivität, sondern eine viel ursprünglichere und spannungsreichere Existenzstruktur. Der Mensch ist sich „aufgegeben“, er muss werden, was er ist, muss sein Wesen suchen und verwirklichen. Dieses Müssen ist kein mechanischer Zwang, es ist eine existentielle Not. Die Imperfektheit unseres Lebens besteht nicht objektiv nur, sie ist vor allem gespürte, erfahrene und erlittene Unvollendung. (…)

Das bedeutet aber ein gewichtiges Fragezeichen an der Grundthese der abendländischen, von der Metaphysik bestimmten Anthropologie, die den Menschen als das Zwischenwesen zwischen Tier und Gott ansetzt. Wir sind das imperfekte Seiende in einem Weltall, das sonst von perfekten Dingen und Lebewesen erfüllt ist; wir sind kosmisch eine Ausnahme und ontologisch ein Paradox. Der Selbstumgang des Menschen besagt aber nicht, wie man vielleicht meinen möchte, eine Selbstbezüglichkeit des einzelnen Individuums nur auf sich selber. Die Unterscheidung von „Ich“ und „Du“ setzt seinerseits schon das Selbstverhältnis des Daseins voraus. Es ist ein Missstand der üblichen pädagogischen Theorien, dass sie naiv ansetzen bei der Relation zwischen Erzieher und Zögling. Woher kommt denn dieser Bezug? Woher kommt denn das Interesse des Erziehers an seinem Zögling? Sind Ich und Du, Wir und die anderen gegebene Tatsachen der Sozialwelt? Genügt es, sie aufzuzeigen – oder muss eine grundsätzliche Besinnung die pädagogische Bedeutung der sozialen Bezüge erst einmal als Problem erfahren und erörtern?

Die Internationale Eugen Fink-Forschungsstelle für phänomenologische Anthropologie und Sozialphilosophie am Philosophischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat einen lesenswerten Beitrag zur Biographie Eugen Finks veröffentlicht, diesen finden Sie hier.

Auf der Hauptseite des Ophen Blogs findet sich darüber hinaus eine umfangreiche Bibliographie Eugen Finks: Eugen Fink auf Ophen.org.