Monat: August 2018

Phänomenologie und Erziehung

Siehe dazu den kürzlich veröffentlichten Artikel im International Handbook of Philosophy of Education des Springer Verlags (hrsg. P. Smeyers)

https://www.researchgate.net/publication/325695381_Phenomenology_and_Education

Dieser Artikel bietet einen historischen und thematischen Überblick über die wichtigsten Beiträge zur Phänomenologie in der deutschen und englischsprachigen Erziehungswissenschaft. Die Phänomenologie ist in diesem Zusammenhang sowohl von ihrer theoretischen Tradition her als auch als Forschungsmethode relevant. Sie fokussiert als Theorie und Methode empirische, relationale und intersubjektive Dimensionen des Lehrens und Lernens. Phänomenologie als Methode und Philosophie versucht, traditionelle Theorien der Erziehung und Bildung mithilfe empirischer und theoretischer Begriffe neu zu bestimmen. Im englischsprachigen Raum wird die Phänomenologie vor allem als methodologischer Ansatz zur Beleuchtung der gelebten Erfahrung (lived experience) genutzt, besonders innerhalb der sozialen Berufe; gelegentlich hat sie auch Möglichkeiten der Theoriebildung über Lehren und Lernen eröffnet, hierbei stets in engem Bezug zur konkreten Praxis.

Malte Brinkmann

Von den Dingen lernen

Phänomenologische und gestaltpsychologische Ansätze widmen sich schon lange dem Thema der Materialität im Lernen und Lehren mit und von Kindern. Ch. Bühler bemerkt in ihrer phänomenologisch-psychoanalytischen Studie zur kindlichen Entwicklung: „Der ‚Aufforderungscharakter’ generiert das Objekt erst, weil das Kind Richtung setzt, seit es Richtung setzt“ (Bühler 1967). Der Fußball, der über die Straße rollt, die Treppe, die zum Hinaufsteigen auffordert, das Krümelchen, das zum Auflesen reizt, der Bauklötz, der zum Spielen einlädt. Der Aufforderungscharakter der Dinge und die Intentionen der Handelnden sind in einer „Komplizenschaft“ (Meyer-Drawe) aufeinander bezogen. Claus Stieve zeigt in einer älteren, sehr lesenswerten Studie, dass die Dinge über den Aufforderungscharakter hinaus einen Charakter der „Gefordertheit“ in sich tragen:
„Wie das Anziehen des Pantoffels oder das schon heute nicht mehr gewohnte Aufziehen der Uhr verlangen viele Dinge von uns eine notwendige, angemessene Haltung, sei es ein Korkenzieher, das Handy, das Auto, die Waschmaschine, das Hemd mit seinen Knöpfen oder die Flasche für den Säugling“ (ebd., S. 176).
Die Gefordertheit durch die Dinge zeigt, dass ihre Bedeutung sich nur im Zusammenhang der Situation für uns erschließt. Als Teil dieses gestalthaften Zusammenhangs weisen sie zugleich über sich hinaus.

Siehe hier ein Interview mit dem Autor und den Hinweis auf seine Studie:
https://www.deutschlandfunk.de/jeder-gegenstand-lehrt-uns-etwas.700.de.html?dram:article_id=84340

Malte Brinkmann